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Ash Ra Tempel: Le Berceau De Cristal (1975 - digital remastert 2016) (Review)

Artist:

Ash Ra Tempel

Ash Ra Tempel: Le Berceau De Cristal (1975 - digital remastert 2016)
Album:

Le Berceau De Cristal (1975 - digital remastert 2016)

Medium: CD
Stil:

Atmosphärisches elektronisches Kraut, bestens als Filmmusik für den Kopf geeignet

Label: MG ART
Spieldauer: 60:09
Erschienen: 17.06.2016
Website: [Link]

Aus Sicht des Kritikers ist dies eins der ungewöhnlichsten Alben seiner eigenen Musikgeschichte, denn es zeigt deutlich, wie sehr sich nicht nur Musik entwickelt, sondern wie intensiv sich anhand der Wahrnehmung solcher Musik auch ein Kritiker entwickeln kann.

Vor 12 Jahren konnte ich die Musik von „Le Berceau De Cristal“ nicht ausstehen. Und ich schrieb das auch unter einer anderen Seite.
Heute aber liebe ich dieses Album, gerade wegen der musikalischen Besonderheiten, die ich damals ausgiebig beanstandete. Ich war zu der Zeit viel zu stark auf klassischen Prog geeicht und Kunst-Rock, wie wir ihn in der DDR von der STERN-COMBO MEISSEN oder LIFT und ELECTRA geboten bekamen sowie die Prog-Ableger SBB, COLLEGIUM MUSICUM, OMEGA usw. Auch Krautrock liebte ich oder flottere elektronische Musik. Mit schwebenden, atmosphärischen, sich nur ganz langsam entwickelnden oder häufig wiederholenden elektronischen Klanglandschaften konnte ich damals nichts anfangen. Sowas war mir zu dröge, zu langweilig, zu einschläfernd. Meine „progressive Schublade im Kopf“ ließ das einfach nicht zu.

Heute aber freue ich mich riesig darüber, dass diese seit über zehn Jahren längst vergriffene CD „Le Berceau De Cristal“ von ASH RA TEMPEL als 2016er-Neuauflage von MG ART wiederveröffentlicht und wohl sogar von MANUEL GÖTTSCHING (E-Gitarre, Farfisa Compact Orgel, EKO Rhythm Computer) und LUTZ „LÜÜL“ ULBRICH (elektrische und akustische Gitarren mit EMS Synthi Hifi) wieder live auf der Bühne gespielt wird.
So gesehen war mir MANUEL GÖTTSCHING damals wohl nicht nur vom Alter her (Er ist Jahrgang 1952.) 12 Jahre voraus.

„Le Berceau De Cristal“ ist im Grunde genommen eine Filmmusik für den gleichnamigen Film von Philippe Garrel, die im Falle des ersten 15 Minuten langen Titelstücks live am 7. August 1975 in Cannes auf dem Palais du Festival in guter Sound-Qualität, und den verbleibenden 7 Instrumentalstücke mit gut 45 Minuten ebenfalls 1975 in Göttschings Studio ROMA in Berlin in hervorragender Klangqualität mitgeschnitten wurde.

In den Linernotes des Albums findet man zugleich eine sehr interessante Ausführung über das Zustandekommen des Films und der Beziehung zwischen Göttsching, Garrel und Nico:
„Im August ‘75 waren wir für zwei Konzerte in den Süden Frankreichs eingeladen worden, von dem eins in dem wundervollen römischen Theater von Arles, das andere im Festival-Palast von Cannes stattfand. Dort trafen wir auch die deutsche Band CAN und Sängerin NICO, die dort genauso wie wir auftraten. Nach dem Konzert verbrachten wir gemeinsam ein paar tolle Tage im wunderschönen Arles. NICOs damaliger Freund PHILIPPE GARREL arbeitete währenddessen an einem Film mit Nico, Anita Pallenberg und Dominique Sanda. Außerdem suchte er nach einer Musik, die einen ‚zum Träumen verleitet‘! Und da ich die meisten unserer Konzerte grundsätzlich mitschnitt, bot ich ihm ein Stück an, dass wir in Cannes als Zugabe gespielt hatten. Dieses Stück wurde das Hauptthema des Films, die anderen Teile entstanden während Sessions, die wir 1975 in meinem Studio in Berlin aufnahmen.“

Da das 75er Konzert im Rahmen der Veröffentlichung des ASH RA TEMPEL-Albums „Inventions For Electric Guitar“ stattfand, sind auch auf „Le Berceau De Cristal“ unverkennbare Parallelen zu dem Album erkennbar. Doch MANUEL GÖTTSCHING erweitert die Musik ausgiebig mit den Klängen einer Farfisa-Orgel, wodurch eine zusätzliche, warme Sound-Komponente die Aufnahmen bereichert. Die Musik ist in einem recht gleichbleibendem Fluss, fast traumhaft, aber nicht einschläfernd, wie ich früher noch behauptete. Doch damals mochte ich auch die TANGERINE DREAM-Alben „Zeit“ und „Atem“ nicht, was mir aus heutiger Sicht komplett unverständlich erscheint.
Schwebende, atmosphärische Musik, welche direkt auf die Psyche des Hörers abzielt, auch beruhigend wirkt, aber immer wieder mit hintergründigen Effekten überrascht. Das machte damals den „Atem“ der „Zeit“ aus – und genau das macht ebenso „Le Berceau De Cristal“ aus.

Nachdem die ersten beiden Stücke noch ruhig und atmosphärisch daherkommen, beginnt das Album ab „Silence Sauvage“ langsam an Dynamik zuzulegen und mit „Le Souire Volé“ fast druckvoll das vorwegzunehmen, was ein Jahr später ein JEAN MICHEL JARRE für seinen elektronischen Weltruhm in Anspruch nahm. Ein grandioses Stück elektronischer Musik mit zu diesem Zeitpunkt unvorhersehbaren Folgen.

Die nächste Überraschung erwartet einen mit „Le Diable Dans La Maison“, in dem elektronische Klangspielereien mit einem hintergründigen Basston sowie einer vordergründigen, knallharten E-Gitarre einen gänzlich unerwarteten, aber mit drei Minuten nur sehr kurzen Stimmungswechsel einleiten, der von „... Et Les Fantomes Revent Aussi“ wieder deutlich im Sinne des Albumanfangs ausgebremst wird, um die ruhig-atmosphärische Stimmung aufzugreifen und zu einem fast hypnotisch wirkenden Ende zu führen.

FAZIT: Hypnotisch – das passt. Und da meine Lebenspartnerin Hypnotiseurin ist, schreibe ich diesen Vergleich hier einfach widerspruchslos hin. Denn auch sie kannte ich vor 12 Jahren genauso wenig wie mich selbst. Damit wären wir auch bei dem Cover, auf dem sich eine in Marmor geschlagene, wundervolle nackte Frau inmitten eines Waldes und eines durch ihn leuchtenden Sonnenstrahls räkelt. Die Musik von „Le Berceau De Cristal“ weckt beim Hören genau solche geheimnisvoll-schönen Bilder in unserem Unterbewusstsein. In ihr ist nicht das Offensichtliche wichtig, vielmehr das Hintergründige, das Versteckte, das tief in einem Begrabene. Ein Klang, der sich seinen Weg nicht direkt zum Herzen des Hörers sucht, sondern einen Umweg über die „deaktivierten“ Synapsen seines Gehirns nimmt. Und was bei mir vor 12 Jahren noch deaktiviert war, wurde anscheinend aktiviert. Anders kann ich mir nicht erklären, warum mich ein Album, welches mich früher nur langweilte, heute dermaßen begeistert.
Für Hypnose muss man bereit sein, damit sie wirkt.
Gleiches gilt für „Le Berceau De Cristal“ von ASH RA TEMPEL.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 6152x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 13 von 15 Punkten [?]
13 Punkte
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Tracklist:
  • Le Berceau De Cristal
  • L‘hiver Doux
  • Silence Sauvage
  • Le Souire Volé
  • Deux Enfants Sous La Lune
  • Le Songe D‘or
  • Le Diable Dans La Maison
  • … Et Les Fantomes Revent Aussi

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

Interviews:
  • keine Interviews
Kommentare
Petra John
gepostet am: 16.08.2016

User-Wertung:
13 Punkte

Das Leben ist Veränderung
auch unser inneres wandelt sich und auch die Wahrnehmung, nicht nur der Klänge
Petra Alveda
Erwin
gepostet am: 22.08.2016

User-Wertung:
13 Punkte

klasse, dass es diesen soundtrack wieder als cd gibt. habe ich lange gesucht gehabt und nirgends gefunden. tolle musik!
Pit Meier
gepostet am: 20.10.2016

User-Wertung:
14 Punkte

Dass ich das noch erleben darf! Ich habe noch die LP irgendwo im Keller stehen, mangels Plattenspieler jedoch lange nicht mehr gehört. Toll, dass es dieses Schätzchen jetzt wieder auf CD gibt, nachdem mir die Erstauflage seiner Zeit durch die Lappen gegangen ist.
(-1 bedeutet, ich gebe keine Wertung ab)
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